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Die ruhige Seite Italiens: Christos Sicht auf den Iseosee


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    2016 schaute die Welt auf den Lago d’Iseo. Der Künstler Christo ließ dort Millionen Menschen über Wasser gehen. Heute ist die Region nicht mehr überlaufen, dabei hat Franciacorta viel zu bieten: Fisch, Wein, Öl – und die Römerzeit im Originalzustand.

    Christo hat alle Brücken hinter sich abgebrochen, nur ein Parkhaus hat er stehen lassen. Dort stapeln sich heute Roller und Motorräder wie vor vier Jahren die Menschen am Iseosee. 1,3 Millionen Touristen in nur 16 Tagen: Der vor einem Jahr verstorbene Verhüllungskünstler hat die Uhren am Lago d’Iseo mit seinem Projekt "The Floating Piers" auf Null gestellt. In der Zeit vor Christo war der See, der wie ein angedeutetes S zwischen den Bergen liegt, im Vergleich zum großen Bruder Garda von Touristen weitgehend unentdeckt. Er war ein Urlaubsort für die Italiener. Und in der Zeit nach Christo?

    Luisa Botticini – der Gang so flott wie ihr Deutsch – überlegt. Dann ein langgezogenes "Allora". Nach Christo seien die Zahlen wieder nach unten gegangen. Kein Wunder, teilweise saßen Touristen am Bahnhof in Brescia fest, so überlaufen war die Region. Aber: "Immer mehr Deutsche und Holländer entdecken den Iseosee, gerade auch auf den Camping-Plätzen", sagt die einheimische Reiseleiterin. Es sind also nicht alle Urlauber mit den dahliengelben, schwimmenden Stegen von Christo verschwunden. Doch Botticini ist das "Aber" ins Gesicht geschrieben. "Wir würden uns mehr wünschen", sagt sie.

    Wer heute zur Monte Isola will, muss das Boot nehmen. Im Sommer 2016 lief man einfach zu Fuß von der Stadt Sulzano über das Wasser zum Dorf Peschiera Maraglio auf Monte Isola, die größte Binneninsel in Südeuropa, die wie eine Schildkröte im Iseosee liegt. Von dort liefen Millionen Touristen auf die Isola di San Paolo zu, eine Insel im Besitz der Familie des Waffenherstellers Beretta. Christo beschrieb das Gefühl so: "Die, die die Floating Piers erlebten, fühlten sich wie beim Gehen auf dem Wasser – oder vielleicht wie auf dem Rücken eines Wals."

    Zugegeben, über Wasser laufen ist schwer zu toppen. Aber Fahrradfahren, Wandern und Bootstouren machen auch Spaß. Auf der Insel dürfen keine Autos fahren. Man geht zu Fuß, fährt mit dem Rad oder mit dem Roller. Die Küche basiert auf heimischem Fisch, gepaart mit einem guten Franciacorta-Wein. Wer die Mentalität der Leute verstehen will, der muss sich eine traditionelle, lombardische Tugend anschauen: Arbeit. Zwei Beispiele zeigen, wie traditionelle und moderne Arbeit in der Region aussehen.

    Werkstattbesuch Nummer eins führt zum Fischfang. Im 16. Jahrhundert lebten am Iseosee rund 90 Prozent der Menschen davon, heute sind es noch gut 15 Familien. Zum Beispiel die Soardis. Fernando Soardi wurde mit vier Jahren zum ersten Mal zum Fischen mitgenommen. Er zeigt auf einen Bottich voller Sardinen, der Geruch von Fisch und Olivenöl dringt durch die Maske. Soardi ist der einzige lokale Produzent, der noch die herkömmliche Art zum Trocknen der Fische pflegt. Für acht Kilogramm Sardinen verwendet er 300 Gramm Salz und hängt sie dann auf einem Holzgestell auf. "Der Fettanteil ist sehr hoch, deswegen brauchen die Sardinen etwa 30 Tage zum Trocknen." Danach serviert Soardi die Fische in seinem Restaurant oder auf lokalen Märkten. Dort wird auch das in der Region produzierte Olivenöl verkauft.

    Beispiel Nr. 2 führt in die Franciacorta, die wie eine Wanne in der Berglandschaft liegt, zu einem Bauernhof. Eigentlich mehr ein Landgut. Roberta Agosti betreibt mit ihren Geschwistern das Agriturismo "Il Colmetto", eine Mischung aus Landwirtschaft und Tourismus. Auf 52 Hektar wohnen Esel, Kühe, Schweine und Ziegen. 22 verschiedene Ziegenkäse-Sorten werden hier produziert. Die Farm haben die Geschwister zusammen aufgebaut. Im Mittelpunkt steht das Wohl der Tiere.

    Agosti hüllt ihre Stiefel in eine blaue Plastikfolie, dann läuft sie in den Stall. Schon von außen sieht der mehr nach einem Palast aus. Sonst bekommen nur Könige ein Konterfei, hier prangt eine Ziege auf dem hellen Holz. Im Stall läuft Popmusik, "Say My Name" und "Chasing Cars". In Zusammenarbeit mit der Universität Mailand habe man herausgefunden, dass Kühe bei Popmusik und Klassik zehn Prozent mehr Milch produzieren. Bei den Ziegen suche man dagegen noch nach der perfekten Playlist – gewissermaßen der "GOAT" (Greatest of all time). Was Roberta Agosti schon entdeckt hat: "Metallica und AC/DC sind zu stark. Die Tiere mögen keine Bässe, da haben sie Angst."

    Auf ihrer Maske steht: "Blah, blah, blah". Und in einer Sprechblase: "No comment". Daran muss man denken, wenn Luisa Botticini über die Brescianer sagt: "Wir sprechen nicht viel, wir sind mehr Leute von Aktion." Vielleicht liegt es auch an dieser ruhigen Art, dass Brescia immer ein wenig untergeht, wenn man an Italien denkt.

    Die Konkurrenz im Land ist groß. Auch deswegen hat die Region um den Iseosee immer noch den Status eines Geheimtipps. Brescia liegt zwischen zwei Touristenmagneten. "Unser Problem ist, dass wir von Verona und Mailand erdrückt werden", erklärt Botticini. Jahrelang war Brescia für seine Industrie bekannt. "Erst in letzter Zeit haben die Leute angefangen, sich für Ausstellungen und Kultur zu interessieren", sagt Botticini. Das Problem: "Bei uns muss man erst eintreten und sieht nicht gleich alles von außen."

    Wer in Brescia einkaufen geht, muss aufpassen, dass er nicht in die Antike stolpert. Mitten beim Optiker oder in der Parfümerie geht es tief nach unten zu Relikten aus der Vergangenheit. "Unter unseren Füßen ist immer noch die römische Stadt. Brescia wurde immer wieder aufgeschüttet", erklärt Botticini. Das ist auch das Besondere an den tiefen Gräben in den Geschäften und am Museum Santa Giulia: Brescias Vergangenheit ist nicht nur Fassade, sondern Original. Hier wird Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes begehbar.

    Brescia ist eine Stadt, die von unterschiedlichen Stilen geprägt ist. Auf der Piazza della Vittoria fühlt man sich architektonisch zurückgebeamt in die Zeit von Diktator Mussolini, auf der Piazza Paolo mit altem und neuem Dom wie in Rom. Der schönste Platz der Stadt, die Piazza della Loggia, stammt aus der Zeit der venezianischen Herrschaft und erinnert an den Markusplatz. Die Vergangenheit lässt sich gut an die Touristen verkaufen. Nur: Wollen die Einheimischen überhaupt mehr Touristen? Vertraut man Luisa Botticini, wäre die Antwort ein klares "Ja". Zum Abschied sagt sie noch einmal ihr deutsches Lieblingswort: Attacke. Das gilt auch für den Tourismus.
    Brescia ist mit knapp 200000 Einwohnern nach Mailand die zweitgrößte Stadt der Lombardei in Norditalien. Mit Bergamo teilt sich die Provinz Brescia den Iseosee. Der Lago d’Iseo ist mit einer Länge von 25 Kilometern der viertgrößte der oberitalienischen Seen. Unmittelbar südlich des Sees beginnt das Weinanbaugebiet Franciacorta.

    ANREISEN

    Mit der Bahn über Verona ist man etwa acht Stunden nach Brescia unterwegs, mit dem Auto von München aus etwa sechs Stunden. Von Brescia zur Kleinstadt Iseo sind es gut 30 Kilometer.

    ÜBERNACHTEN

    •Iseolago Hotel: Vier-Sterne-Hotel mit Blick auf die Berge und den Iseosee, Infos unter www.iseolagohotel.it.

    •Hotel Ambasciatori: zentrales Stadthotel in der Nähe der Altstadt von Brescia, Infos: www.ambasciatori.net/en/.

    ESSEN

    •Ristorante Radicí: kreative, zeitgenössische Küche, Via Mirolte 53, Iseo, www.radici-ristorante-iseo.business. site.

    •La Locanda al Lago: traditionelles Familien- und Fischrestaurant mit Blick auf den Iseosee, Via Carzano 38, Monte Isola, www.locandaallago.it.

    •Agriturismo Il Colmetto: Lombardische Küche auf einem Landgut mit großer Auswahl an Ziegenkäse, Via Finilnuovo 9/11, Rodengo Saiano, www.ilcolmetto.it.

    •Ristorante Mangiafuoco: uriges Ambiente, mediterrane Küche, umtriebiger Chef, Via Calzavellia 3a, Brescia, www.trattoriamangiafuoco.it

    •Savio Osteria: typische Gerichte aus Brescia, Via Giovanni Piamarta 1, Brescia, www.osteria-delsavio.com.

    WEIN

    Die Franciacorta ist mit knapp 60 Jahren eine noch relativ junge Weinbauregion, die vor allem wegen ihrer renommierten Schaumweine bekannt ist. Der Wein wird aus den Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Blanc hergestellt. Pionier der Franciacorta ist das Weingut Berlucchi, Leitbetrieb der Region ist "Ca’ del Bosco". Das Weingut Bersi Serlini bietet nicht nur den typischen Franciacorta-Wein, sondern auch eine stilvolle Anlage für Hochzeiten oder Geburtstage.

    AUSFLUGSTIPPS

    •Radtour durch die Weinanbauregion Franciacorta mit den Sehenswürdigkeiten Kloster San Pietro in Lamosa und der Abtei Rodengo Saiano, buchbar über Iseo Bike.

    •Stadtführung durch das historische Brescia.

    •Museum Santa Giulia, UNESCO-Weltkulturerbe.

    www.visitbrescia.it

    Sources


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    Author: Meredith Ashley

    Last Updated: 1702008241

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