Es stellt sich die Frage: Ist wirklich gewährleistet, dass Dritte keine Rückschlüsse auf persönliche Vermögensverhältnisse ziehen können?
Nehmen wir den Zürcher Limmatquai: eine zufällig gewählte, prominente Adresse, eine verschwiegene Häuserzeile. Zumindest war sie dies bis letzte Woche. Seither genügen wenige Klicks auf dem Smartphone, und die Gebäude geben ihr grösstes Geheimnis preis.
Wem gehört das auffällige Eckhaus mit den Arkaden? Der Swiss Life. Das Nachbarhaus mit den Sandsteinfiguren? Der Zurich Lebensversicherung. Und das Hotel daneben? Einer Immobiliengesellschaft, hinter der eine Privatperson mit bekanntem Namen steht.
Dies waren im Prinzip schon immer öffentliche Informationen, aber sie sind gerade ein gutes Stück öffentlicher geworden. Denn der Kanton Zürich hat seine Grundbuchdaten per Internet abrufbar gemacht. So, wie das in anderen Kantonen längst der Fall ist.
Der Effekt ist ein eindrückliches Manifest der Neugier: Schon am zweiten Tag erreichte die Zahl der Abfragen fast die Marke von zwölftausend. Das sind gut und gerne zwanzig Mal so viele wie zuvor.
Bisher musste auf dem Grundbuchamt anrufen, wer den Eigentümer eines Gebäudes erfahren wollte. Solche Anfragen gab es selbst auf grösseren Ämtern nur ein paar Dutzend pro Tag. Weil ein solches Telefonat aufwendig war.
Wenn die Datenbank kopiert wird, kann es bedrohlich werden
Der Vorteil dieses analogen Systems: Dadurch war so gut wie ausgeschlossen, dass jemand systematisch die Daten zu sämtlichen 700 000 Grundstücken im Kanton zusammenträgt. Selbst wenn der Versuch auf dem Amt niemandem aufgefallen wäre, hätte es Jahre gedauert.
Diese natürliche Hürde war wichtig. Denn der Zweck eines öffentlichen Grundbuchs ist die Rechtssicherheit bei Immobilienverkäufen – nicht etwa, dass sich daraus die Vermögensverhältnisse von Privatpersonen ablesen lassen. Dies muss sogar explizit verhindert werden, wie aus der Grundbuchverordnung des Bundes hervorgeht: Die Abfrage darf nur grundstücksbezogen möglich sein.
Man darf also erfahren, dass das Haus am Limmatquai in einer Verbindung steht zu der Privatperson mit dem bekannten Namen, aber nicht, wie viele Liegenschaften diese im Kanton Zürich besitzt. Besässe jemand eine Kopie des Grundbuchs, wäre alles anders. Dann wären auch personenbezogene Abfragen problemlos möglich.
Vor den Konsequenzen warnten die Schweizer Datenschutzbeauftragten schon 2010, als die Rechtsgrundlagen für Online-Abfragen geschaffen wurden: Wenn Dritte Rückschlüsse auf die persönlichen Verhältnisse ziehen könnten, führe dies für die Betroffenen möglicherweise zu Sicherheitsproblemen. Zumal die Daten sofort weltweit verbreitet würden und sich nicht mehr löschen liessen.
Deshalb steht in der Grundbuchverordnung, dass die Kantone ihre Online-Abfragen so gestalten müssen, dass Massenabfragen unmöglich sind.
Die Zürcher Datenschutzbeauftragte Dominika Blonski hat die kantonalen Behörden in der Vernehmlassung noch einmal darauf hingewiesen: «Die Publikation von Personendaten im Internet ist nicht zu vergleichen mit der Publizität, wie sie bisher bei Auskünften beim Grundbuchamt stattgefunden hat.» Das Missbrauchsrisiko sei höher. Deshalb müssten die Gegenmassnahmen «immer den aktuellen technischen Möglichkeiten entsprechen».
Die Zürcher Lösung ist günstig – und technisch überholt?
Der auf Datenschutz spezialisierte Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger bezweifelt jedoch, dass das hiesige System dieser Anforderung genügt. Die gewählte Lösung sei «nicht zeitgemäss», urteilt er.
Der Grund: Um automatisierte Abfragen durch sogenannte Bots zu verhindern, verwendet Zürich die im Internet verbreitete Captcha-Methode. Um zu beweisen, dass man ein Mensch ist, muss man dabei komplexe Aufgaben verschiedener Art lösen. Zum Beispiel angeben, wo auf einem Bild Fussgängerstreifen zu sehen sind.
Das Paradox dabei: Die Eingaben in der Captcha-Lösung von Google, auf die Zürich setzt, dienen dem Tech-Konzern dazu, das eigene System für maschinelles Lernen zu trainieren. Und durch solche Trainings sind Computer längst so schlau geworden, dass sie sogar Captcha-Aufgaben lösen können, die echten Menschen Mühe bereiten.
Als zweite Sicherheitsmassnahme hat Zürich die Zahl der Abfragen pro Gerät und Tag auf maximal fünf beschränkt. Aber auch dieses Hindernis lässt sich laut Steiger mit geringem Aufwand umgehen. Er plädiert dafür, dass Grundeigentümer ihre Daten unter bestimmten Voraussetzungen sperren können sollten – genau, wie dies die Schweizer Datenschützer 2010 vergeblich gefordert hatten.
Lukas Häusermann, der zuständige Projektleiter beim Notariatsinspektorat, ist hingegen der Ansicht, dass die in Zürich getroffenen Massnahmen genügen. Er sagt, es habe bisher keine Anzeichen für Massenabfragen gegeben.
Dass die Gefahr real ist, zeigte sich im Kanton Aargau. Dort gelang es Unbekannten vor vier Jahren, das halbe Grundbuch herunterzuladen. In der Not führten die Aargauer eine Captcha-Lösung ein, liessen diese aber bald wieder fallen. Den durchschlagenden Erfolg brachte erst ein System, das eine Bestätigung per Handynummer verlangt.
In Zürich habe man einen solchen SMS-Dienst wegen der Kosten verworfen, sagt Häusermann. Zudem hätte die Speicherung der Telefonnummern nur ein neues datenschutzrechtliches Problem aufgeworfen. Und schliesslich sei es auch «nicht das Ziel, dem Bürger die Abfrage zu erschweren», da die Daten per Gesetz grundsätzlich öffentlich seien.
Die Datenschützerin Blonski sagt, dass ihr die Zürcher Online-Abfrage vor der Lancierung nicht gezeigt worden sei. Sie behält sich vor, das System demnächst zu kontrollieren. Bis dahin stellt sie klar: Die Verantwortung tragen die zuständigen Institutionen.
Author: Paul Villa
Last Updated: 1700242561
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